Hochtouren-Weiterbildung im Monte-Rosa-Gebiet

24. bis 30. Juli 2011
Leitung: Richi Bolt, Bergführer, Amden

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Kartenübersicht
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Teilnehmer:
Dominik Hasler, Manfred Kipfer, Marcel Meier, Klaus Portmann, Kurt Schletti

Mit den teils neu erstellten Zubringerbahnen schwebten wir über Schwarzsee dem Klein Matterhorn entgegen, auf dem die zügellose Tourismusindustrie einen 120 Meter hohen Hotel- und Aussichtsgiganten erstellen will, um nach Höhe lechzendem Volk einen „Viertausender“ zu bieten. Indessen liess die bestehende Gastro-Infrastruktur mehr als nur zu wünschen übrig: Die Hotelcrew verliess uns gegen 17 Uhr mit dem letzten Bähnli, nachdem sie unsere Spaghetti lauwarm auf den Tisch gestellt hatte mit dem Hinweis auf den bereitstehenden Mikrogrill. Ein gemütliches erstes Nachtessen! Schichtweise wärmten wir unser Mahl und futterten einzeln, solange es noch warm war. Manfred lockerte die leicht angesäuerte Stimmung auf, indem er ungewollt - alle Gedecke waren einheitlich und fein säuberlich mit Tellerchen zugedeckt - das Schüsselchen mit dem Reibkäse in den Mikrogrill schob. Wer jetzt ein Fondue erwartete, sah sich arg getäuscht. Unten schwamm pures Fett, darüber kräuselte sich verpappte Masse, welche sich nicht mehr streuen liess.

Nicht eben regelkonform verlief die Akklimatisation. Direkt vom Unterland auf knappe 3900 Meter Höhe hinauf hatte für einzelne von uns physische Beschwerden zur Folge, kurzen Atem und Kopfweh. Für eine Sektionstour wäre der rasante Höhenwechsel unzumutbar gewesen; Tourenleitende können dagegen schon etwas gefordert werden, hiess es doch in der Ausschreibung „schwere Hochtouren, konditionell anspruchsvoll“. Kam dazu, dass der erste Tag mit der Breithornüberschreitung von Ost nach West mit nachfolgender langer Traverse zum „Rifugio Guide della Val d’Ayas“ der strengste war. In forschem Tempo überkletterten wir den  mehrgipfligen ausgesetzten Grat autonom in Zweierseilschaften. An den beiden Abseilstellen war kompetentes zügiges Seilmanagement gefragt, entscheidende Kriterien auf langen, technisch heikleren Touren. Der „Chef“ liess uns mehrheitlich gewähren. Abends in der Hütte dann die messerscharfe Kritik des Fachmannes; individuell, träf, aufbauend, nie verletzend.

Vergleichsweise ein Sonntagstürli folgte anderntags mit der Überschreitung von Pollux und Castor. Eine gute Gelegenheit, Seilverkürzung und sicheres Gehen am kurzen Seil zu festigen. Falsche Handhabe und unkonzentriertes Unterwegssein erhöhen die Gefahr von Mitreissunfällen erheblich. „Und die Pickelschlaufe ist definitiv unnütz! Dieses ewige Gebambel! Der Pickel ist ein Werkzeug und gehört in Firn und Eis in die Hand oder im Fels hinter den Rucksack gesteckt!“, äusserte sich Richi pointiert. Auf dem Abstieg begann es auf 3700 Metern zu schneien, nachdem sich die in den Seitentälern des Aostatroges liegenden Wolken wallend gehoben hatten und uns jäh die Sicht nahm. Es gab da zwar noch eine Spur, aber ernst zu nehmende Tourenleitende sind keine „Spurenheinis“, sondern gewandte Karten-, Kompass-, Höhenmesser- und GPS-Beherrscher! Gehört der Kompass noch zwingend zur Grundausrüstung? Nach neuster Doktrin ist das GPS mit Ersatzbatterien genügend verlässlich. Der schlechten Sicht zum Trotz hängten wir noch einen Spaltenrettungsteil an, verknüpften Reepschnüre, schalteten Karabiner, Umlenkrollen und Klemmknoten und debattierten über die Anwendungsbereiche von Schweizer- und Oesterreicher-Flaschenzug.

In der Sellahütte entschieden wir uns am Abend, der ungünstigen Witterung wegen auf die Überschreitung des Lyskamms zu verzichten. Gefasste Pläne anderntags umzustossen, können fatale Folgen haben, da in solchen Fällen oft zu spät aufgebrochen wird und die Gruppe mental verunsichert ist.

Auf dem Weg zur Mantova-Hütte querten wir einen gigantischen Eisabbruch, der, kürzlich niedergegangen, tiefe Gräben in den Gletscher gepflügt hatte. Eine objektive Gefahr, der man als Alpinist gnadenlos ausgeliefert ist, hält man sich zu gegebener Zeit am falschen Ort auf. Mulmige Gefühle kamen hoch!

Die „Pasta-Rundtour“, alles italienischen Hütten nach, südlich der Linie Breithorn-Lyskamm zum Monte-Rosa-Massiv, ist beliebt und daher stark begangen. Ein wahrer Schmelztiegel an Nationalitäten jeden Alters. Eine 78-jährige erreichte sichtlich stolz mit ihrer Gruppe die Ludwigshöhe, 4283m, angeführt von einem einheimischen Priester, welcher tags zuvor in der Hütte für Interessierte eine Messe gelesen hatte. Hier sammelten wir Viertausender wie andere Leute Eierschwämme, nicht erstaunlich bei dieser Basishöhe und den rundum liegenden mit Namen und Höhenquoten klar definierten Gipfelerhebungen. Im höchstgelegenen Haus Europas, im Rifugio Regina Margherita, 4554 m, verträumten wir friedlich unsere letzte Nacht, nachdem sich unsere Physis nach und nach auf die ungewohnte Höhe eingestellt hatte.

Stürmische Winde, ein Temperatursturz und viel Neuschnee verunmöglichten das letzte Ziel, die Dufourspitze über den Grenzsattel. So stiegen wir nach der Zumstein-Spitze über den landschaftlich eindrücklichen Grenzgletscher ab zur neuen Monte-Rosa-Hütte.
Hier zogen wir Bilanz über eine äusserst intensive, technisch wie psychologisch ergiebige hochalpine Ausbildungswoche. Entscheidend zum guten Gelingen trugen die immense Erfahrung und das feine Gespür im menschlichen Umgang von Richi Bolt, aber auch die respektvolle, kameradschaftlich-offene Atmosphäre unter uns Tourenleitern bei. Diese Art der gezielten sektionsinternen Weiterbildung gilt es im Auge zu behalten für ähnliche Projekte.

Hittnau im August 2011, Kurt Schletti